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Der Wald braucht einen langen Atem

Ein Vierteljahrtausend braucht eine Eiche, um hiebsreif zu werden. FOTO: TIM BIRKNER

 

VON TIM BIRKNER

COBURG ? Oliver Kröner (39) steht an einer alten Eiche. ?Die ist mindestens 250 Jahre alt?, sagt er. Das sind gut acht Generationen an Förstern, die diesen Baum begleitet haben. Ein Viertel Jahrtausend, dann ist eine Eiche hiebsreif, wie die Förster sagen. Dann erst kann aus dem mächtigen Stamm das Furnier für die Wohnzimmerschrankwand geschält werden.

Oliver Kröner leitet seit einem Jahr den Bereich Forsten am Amt für Landwirtschaft und Forsten Coburg. Als Landwirt könnte er jetzt auf seine erste Ernte schauen. Im Frühjahr säen, im Herbst ernten. Und wenn die Frucht nicht zum Boden passt, könnte der Landwirt neu entscheiden. Jedes Jahr kann er seine Pläne ändern. Oliver Kröner kann nur wenig ändern. ?Die Entscheidung für eine Baumart gilt für eine lange Zeit, oft länger als ein Menschenleben. Bei einer Schwarzerle dauert es 60 Jahre, bei einer Fichte 100 Jahre, bei Eichen bis zu 250 Jahre, bis die Bäume hiebsreif sind und gefällt werden können.?

 

In den Landkreisen Coburg und Lichtenfels, für die Kröner zuständig ist, ist das eine komplexe Aufgabe, den richtigen Baum für den richtigen Ort zu finden. ?Die Gegend ist ein Fleckerlteppich, Jura, Keuper, Muschelkalk oder Buntsandstein wechseln sich ganz kleinräumig ab.? Mal ist der Boden sandig, mal tonig oder lehmig. Mal eignet er sich für Fichten, mal für Buchen. Das sind Entscheidungen, bei denen Kröner den Waldbesitzern helfen will. ?Von der Entscheidung der Baumart bis zur Nutzung des gewachsenen Holzes ist es ein langer Weg. Da ist Kontinuität wichtig?, sagt der Forstwirt.

 

Der Wald hat viele Funktionen. Der Wald dient der Erholung. Der Wald schützt den Boden. Der Wald schützt vor Lärm. Der Wald schützt das Trinkwasser. Der Wald ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Der Wald ist Energielieferant.

 

Bei den derzeitigen Preisen für Gas, Strom und Öl wächst diesem wirtschaftlichen Aspekt mehr Bedeutung zu. Die anderen werden gerne vernachlässigt, findet Kröner. ?Holzvorräte sollen mobilisiert werden?, heißt es dann beispielsweise. Kröner mobilisiert lieber die Waldbesitzer: ?Wenn ich sie für eine naturnahe und nachhaltige Bewirtschaftung gewinne, mobilisiere ich damit auch automatisch Holz.?

 

Dazu gehört auch der langsame Umbau von Nadel- in Mischwälder. Kröner sieht sich da auf einem guten Weg. In Bayern ist der Laubholzanteil in den vergangenen 30 Jahren von einem Fünftel auf fast ein Drittel gewachsen. Kröner muss dabei auf seine Überzeugungskraft setzen.

 

Mit Fördergeldern wie in der Landwirtschaft sieht es für die Waldbesitzer schlecht aus. 19 Millionen Euro können Kröner und alle seine bayerischen Kollegen zusammen für den Waldumbau ausgeben. Soviel Fördergelder stehen aus München, Berlin und Brüssel für ganz Bayern zur Verfügung. Tendenz sinkend. Zum Vergleich: Allein in Coburg/Lichtenfels bekamen die Landwirte eine Förderung von insgesamt 22 Millionen Euro.

 

Kröner fodert von den zuständigen Politikern, über die Legislaturperioden hinweg zu denken und zu handeln. Den Wald kann man nun einmal nicht alle vier bis sechs Jahre umgestalten. Politiker und Förderprogramme tun sich mit dem Lebensrhythmus des Waldes schwer. Auch die Holzindustrie setzt auf Geschwindigkeit und immer kürzere Zyklen. ?Heute haben wir mit den Harvestern rationelle Vollerntemaschinen, die einen Arbeitsradius von zehn Metern haben?, beschreibt Kröner den Fortschritt. Die Folge sind Gassen in einem Abstand von 20 Metern, die die Wirtschaftswälder durchziehen. Die Maschinen, die das Holz entasten, fällen und ablängen sind teuer. Also arbeiten sie das ganze Jahr, ohne Rücksicht auf den Lebenssaft der Bäume.

 

?Wer im Sommer Holz erntet, muss künstlich trocken, die Stämme sind leichter verletzlich?, beobachtet der Forstwirt. Ändern wird er freilich nichts. ?Die Holzindustrie ist hungrig und hat keine Lagerkapazitäten für die Sommermonate. Da geht alles just-in-time.?

 

Wenn auch in den Monaten März bis September Holz geerntet wird, werden die Brutzeiten der Vögel nicht berücksichtigt, Nester ausgelöscht, die im Winter sowieso leergestanden wären. Mangelnde Holzqualität durch schnelleren Pilzbefall scheint die Industrie nicht zu stören. ?Die Top-Qualität steht nicht mehr im Vordergrund?, sagt Kröner. Die Stämme sollen eine mittlere Dicke haben. Dann werden sie kleingesägt und wieder zu Leimbindern großgeklebt.

 

Hoffnung setzt Kröner auf die vielen kleinen Privat- und Bauernwälder. Dort sieht er eine Chance, dass die Erntezeit nach wie vor in die Wintermonate fällt. Ganz im Rhythmus des Waldes und seiner Bewohner. Und Kröner möchte nicht nur mit Worten überzeugen.

 

?Ich werde mir noch einen Hektar Wald kaufen für den eigenen Brennholzbedarf?, wünscht sich der Forstwirt. Dann kann er experimentieren und für seine Enkel oder deren Enkel einen naturnahen Wald gestalten. Natürlich wird er auf die Bodenqualität achten. Und er wird Minderheiten unter den Baumarten fördern: ?Ich möchte Bäume wie Eiben, Walnuss, Weißtanne oder Esskastanie mit dazupflanzen.?

 


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